Die Hochwasserkatastrophe
Die Hochwasserkatastrophe vom 8. Februar 1946
Lügde ist seit Gründung der befestigten Stadt um 1245 immer wieder von Hochwasserereignissen betroffen -gewesen. Die tiefe Lage der Stadt im Talkessel und ihre Anlage als mittelalterliche Festungsstadt mit Wasserumfluss durch die Emmer und den Wehrgraben, führten in den vergangenen Jahrhunderten sehr oft zu Überschwemmungen. Da die Hochwasser, insbesondere die verheerendsten von 1539, 1659, 1753 und 1768, große Schäden in der Stadt und im Umfeld anrichteten, wusste man, dass nur eine intakte Stadtmauer Schutz bieten konnte. Immer wieder wird von Anträgen der Bürger an den Rat der Stadt berichtet, die Stadtmauer und auch die Stadttore wegen der Hochwassergefahr in Stand zu halten. Doch die Stadtmauer konnte nicht alle Hochwasser abhalten. So kam es wiederholt zu Überflutungen der Stadt, wie auch 1946.
Der Januar 1946 war sehr frostreich. Später fiel auf den gefrorenen Boden eine beträchtliche Schneemenge. Anfang Februar 1946 aber setzte Tauwetter ein und brachte die gewaltigen Schneemassen zum Schmelzen. Innerhalb weniger Tage führten alle Bäche und Nebenflüsse der Emmer so viel Wasser zu, dass diese über die Ufer trat und weite Flächen überschwemmte. Zu Beginn der zweiten Woche des Februars standen die bekannten Überschwemmungsgebiete innerhalb der Stadt – Kanalstraße, An der Stadtmauer, Teile der Hinteren und Vorderen Straße – und die anderen tiefer gelegenen -Flächen wie häufig zuvor unter Wasser. Der Regen dauerte an, und das Wasser innerhalb der Stadt stieg langsam immer -höher.
Das Wasser stieg höher und höher
Am Montagabend stand mehr als die Hälfte der Stadt -unter Wasser. Als es aufhörte zu regnen und das Wasser abfloss, hofften die Lügder, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch am Freitag, den 8. Februar setzte erneut starker Regen ein und ließ die Emmer bedrohlich anschwellen, so stark dass am -Mühlenhoftor große Wassermassen in die Stadt eindrangen und zunächst den unteren Teil der Hinteren und Mittleren Straße bedeckten. Gegen 15 Uhr stand überall Wasser in der Stadt, aber man konnte noch Teile der Straßen mit Stiefeln begehen. Doch außerhalb der Stadtmauer wuchs die Gefahr. Das Wasser stieg immer höher und höher. Als dann das -Wasser von Süden her, vor und hinter dem Gasthaus -Spilker, über den alten Wall in die „Kleine Emmer“ floss und -diese rasch auffüllte, nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Altstadt glich einer Insel, die von allen Seiten vom Hoch-wasser eingeschlossen war. Bislang war die Höhe der Stadtmauer immer als ausreichend angesehen worden. Ein Trugschluss, wie sich schnell zeigte. Zunächst floss das Wasser am Hägenschen Tor in der Seilerstraße über die Mauer, die hier am niedrigsten war. Auch am Oberen Tor und am Brückentor wurden die Absperrungen in den Toren von den Wassermassen überspült.
Kaum jemand konnte den Tieren helfen
Unbeschreibliche Szenen spielten sich vor allem in den landwirtschaftlich genutzten Häusern ab. Das meistens angekettete Vieh in den Ställen schrie und brüllte in -Todesangst. Doch kaum jemand konnte den Tieren -helfen, denn durch den zeitweiligen Stromausfall herrschte in den Ställen und Häusern völlige Dunkelheit. Gegen 23 Uhr erreichte das Hochwasser den Höchststand von bis zu 2,50 m. Dann fiel der Wasserpegel außerhalb der Stadtmauer ab. Bedingt durch die Stadtmauer stand das Wasser innerhalb der Stadt für kurze Zeit höher als außerhalb. Doch das Wasser suchte sich selbst einen Weg. Die Stadtmauer in der Nähe der Vikarie, in der Mühlenstraße, hielt dem Druck des Wassers nicht stand und brach ein. So konnte der größte Teil des Wassers ab ca. 1 Uhr des 9. Februars unter heftigem Getöse abfließen.
Der Tag nach dem Hochwasser
Als die Schreckensnacht dem Licht des Tages gewichen war, sah man das Ausmaß der Verwüstungen. Auf Kähnen, alten Badewannen und Holztrögen nahm man Kontakt mit den Nachbarn und Straßenanliegern auf und versorgte sich gegenseitig mit Lebensmitteln. Erst im Laufe des Spätnachmittags waren die Straßen teilweise wieder frei. In der Innenstadt lagen über 200 Stück Großvieh tot in den Ställen bzw. auf den Straßen, dazu eine große Anzahl von Schweinen und Kleinvieh.
Sämtliche Räume der unteren Etagen der rund 300 Häuser der Innenstadt waren unbewohnbar. Schränke, Vitrinen und Regale waren umgestürzt. Sämtliche Vorräte waren zerstört, verdorben und ungenießbar, lagen wild herum und durcheinander. Überall hatte sich bis zu 5 cm hoher Schlamm abgesetzt – kein Raum, kein Möbelstück war davon verschont worden. In vielen Häusern waren die Fachwerkwände eingedrückt und zerbrochen. Die Straßen waren übersät mit Steinen, Schlamm, Unrat und Holz. Der Gesamtschaden in der Stadt wurde damals auf weit über eine Million Reichsmark geschätzt.
Aus der Katastrophe des 8. Februars 1946 zog der Rat der Stadt schnell Konsequenzen. 1952 wurde die alte Emmerbrücke mit einem Kostenaufwand von 200.000 Mark neu gebaut. 1957 wurde eine Pumpstation hinter der Vikarie errrichtet, welche das Oberflächenwasser aus der Stadt und auch aus der „Kleinen Emmer“ bei Gefahr abpumpt. Auch wurde 1988 die gesamte Stadtmauer mit großem Aufwand saniert. Bei der Planung und Ausführung der Umgehungsstraße (Tunnel) wurde der Hochwasserschutz entsprechend eingeplant und umgesetzt.
Noch heute erinnern Pegelmarken (u.a. Wehrturm am Brückentor) an die Hochwasserereignisse.
Text: Dieter Stumpe