Ein ganz besonderes Ehrenamt: Der ambulante Hospizdienst
„Wir sind keine Exoten. Wir stehen mitten im Leben. Und unsere ehrenamtliche Arbeit bedeutet für uns auch ein Gewinn an Lebensqualität.“ Mit diesem Satz beendete Annette Kleine-Gödde, die 1. Vorsitzende des Hospiz-Vereins Bad Pyrmont gestern Abend [Dienstag, 23. April 2013] die Reihe der Vorträge zum Lügder Tag des Ehrenamtes 2013.
Unsere Ehrengäste in der Feierstunde zum Lügder Tag des Ehrenamtes 2013 waren die Mitglieder des Hospiz-Vereins Bad Pyrmont e.V. Ich finde, es war ein sehr schöner Abend mit sehr bewegenden Vorträgen unserer Ehrengäste. Hier zunächst einige Auszüge aus der Laudatio des Bürgermeisters, Heinz Reker:
„Der Lügder Tag des Ehrenamtes ist ein Tag, an dem wir [Rat und Verwaltung der Stadt Lügde] uns bewusst machen wollen, was es eigentlich bedeutet ein Ehrenamt in einem bestimmten Bereich zu bekleiden. Darum widmen wir den Lügder Tag des Ehrenamtes jedes Mal einem anderen Bereich. In den vergangenen Jahren haben wir uns zum Beispiel die ehrenamtliche Arbeit in den Theatervereinen, in den Musikvereinen oder auch in den Feuerwehren angeschaut“, erklärte Bürgermeister Heinz Reker in seiner Begrüßung, „wir möchten unseren Ehrengästen damit ein winziges bisschen von dem schenken, was sie selbst, mitunter Tag für Tag an ihre Mitmenschen verschenken - Zeit - Achtsamkeit.“
„Vielleicht fragen Sie sich: Warum Bad Pyrmont? Ist das nicht der Lügder Tag des Ehrenamtes? Nun, viele Mitglieder des Hospiz-Vereins sind Lügder. Aber was noch viel entscheidender ist: Der Hospiz-Verein Bad Pyrmont ist auch in Lügde aktiv. Das heißt, viele der Mitglieder, darunter auch Pyrmonter, kommen nach Lügde, um hier Menschen in schweren Stunden ihres Lebens zur Seite zu stehen und zu helfen. Bad Pyrmont und Lügde mag eine Städte- und eine Landes-Grenze trennen, aber für unsere heutigen Ehrengäste sind rechtstheoretische Hürden kein Argument. Für sie steht der Mensch im Mittelpunkt“, verdeutlichte Heinz Reker.
Ihm sei es auch ein persönliches Anliegen, die Arbeit der ehrenamtlichen Hospizler zu würdigen: „Denn dort wo sie wirken, blitzen keine Kameras, applaudieren keine begeisterten Zuschauer, brandet kein Jubel auf, werden keine Pokale überreicht - dort wo Sie tätig sind, überwiegt die Ruhe - die Stille. [Unsere Ehrengäste] fragen nicht, woher der Hilfesuchende kommt. Sie fragen nicht, wie viel Geld er hat. Für sie ist Trauer und der Tod kein Tabu. Und wenn einer von ihnen hingebungsvoll einem todkranken Menschen einen würdigen Abschied vom Leben bereitet hat, wird keine Zeitung am nächsten Tag darüber berichten. Aber dennoch hat dieser Mensch etwas Großartiges geleistet.“
Bürgermeister Heinz Reker wies auch darauf hin, dass die Hospizarbeit ein Grundrecht zu erfüllen hilft: „Wir alle sind immer wieder beeindruckt davon, was die Medizin zu leisten im Stande ist. Doch wir alle wissen auch, wie groß heute der betriebswirtschaftlich bedingte Leistungsdruck in den Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeheimen ist. Und wohin das führt, ist mitunter grausam. Dabei heißt es im allerersten Artikel unseres Grundgesetztes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
gesetze-im-internet.de: Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Mit Ihrer Arbeit leisten Sie, liebe Ehrengäste, einen unschätzbar riesigen Betrag dazu, eines unserer elementarsten Grundrechte sicherzustellen. Sie übernehmen eine Verpflichtung des Staates, welche dieser zu leisten in einigen Bereichen offensichtlich nicht in der Lage ist. Denn Sie geben mit Ihrer ehrenamtlichen Arbeit den Sterbenden die Würde und den Respekt zurück, den unsere Gesundheitssystem aber auch unsere Gesellschaft nicht oder nur noch rudimentär vorsieht.“
Das Sterben und die Trauer seien noch immer Themenkomplexe, um die wir, wenn wir können, einen großen Bogen machen, führte Heinz Reker weiter aus: „Doch genau das tun unsere Ehrengäste nicht. Sie möchten mit ihrer ambulanten, ganzheitlichen Sterbe- und Trauerbegleitung das Sterben wieder in das Leben integrieren. […] Trauer gehört auch zum Leben. Und trauern zu können ist wichtig. Denn es ist die Trauer, mit der wir Leid und Schmerzen überwinden können. Sie kennen das wunderschöne Gedicht von Hermann Hesse: „Stufen“, das mit dem Satz endet:
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
de.wikipedia.org: „Stufen“, Gedicht von Hermann Hesse
Und weil wir, meine Damen und Herren, weil unsere Gesellschaft Trauer noch immer viel zu sehr stigmatisieren, müssen wir dankbar sein, dass es Menschen wie unsere Ehrengäste gibt, für die Gegenwart von Sterbenden und Trauernden zum Leben dazugehören, die sich ihrer annehmen, auf sie und ihre Gemütszustände eingehen, sie halten, sie stützen. Sie sind da, um beiden, Sterbenden und Trauernden den eigenen inneren Raum zu öffnen, Abschied zu nehmen.“
Liebe Leserinnen und Leser, Hand auf´s Herz, wissen Sie, was die Menschen, die in der ambulanten Hospizarbeit tätig sind leisten? Auch wir, Rat und Verwaltung der Stadt Lügde, konnten die Frage nicht beantworten. Darum haben wir unsere Ehrengäste gebeten, von ihrer Arbeit zu berichten.
In Ihrer Einleitungsrede ging Annette Kleine-Gödde, 1. Vorsitzende des Hospiz-Verein Bad Pyrmont e.V., auf die geschichtliche Entwicklung des Hospizgedankens und besonders auf die Entwicklung des Hospiz-Vereins Bad Pyrmont ein. Die Arbeit der Mitglieder basiere auf den christlichen Werten, „daher lehnen wir die aktive Sterbehilfe ab“, verdeutlichte Annette Kleine-Gödde. Damit lebt der Verein ganz im Sinne von Cicely Saunders, die als egründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin gilt.
Für den Arbeitskreis des Hospiz-Vereins informierte Hildegard Cramer. Früher seien Sterbende in den Krankenhäusern in Abstellkammern geschoben worden. Pflegekräfte, Ärzte, all die, die mit Sterbenden und deren Angehörigen zu tun hatten, seien die ersten gewesen, die den Gedanken der Hospizbewegung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit trugen. Das sei im Hospiz-Verein Bad Pyrmont Aufgabe des Arbeitskreises, erklärte Hildegard Cramer. „Wir versuchen das Thema in der Öffentlichkeit wach zu halten.“ Regelmäßig widme sich der Arbeitskreis neuen Informations-Schwerpunkten, wie der Patientenverfügung, der Kinderhospizarbeit oder aktuell der Organspende. Auch die Organisation von Veranstaltungen, die diese Themen publik machen sollen, sei Aufgabe des Arbeitskreises. Sterben gehöre in die Mitte der Gesellschaft, jeder einzelne solle den Mut haben, den Trauerprozess zu begleiten, schloss Hildegard Cramer ihren Vortrag.
Sabine von Bodecker berichtete über Arbeit der Helfergruppe. Es sei für die Helfer nicht einfach, in die Familie zu gehen und seine Hilfe anzubieten. Denn in jeder Familie fänden sie eine andere Situation vor. Und im Mittelpunkt stehe immer der Kranke, dessen Fähigkeiten zurückgehen. Doch ganz wichtig zu beachten sei: „Der Sterbende gehört zum Leben. Auch Sterbende haben Wünsche. Und auch denen möchten wir gerecht werden.“ Mitten in die Not, Last, Angst, Unsicherheit einer Familie würde ein Fremder als Helfer gerufen. Für die Familie wie auch für den Helfer sei das eine schwierige Situation. Der Helfer muss zunächst eruieren: „Was wird von uns gewünscht, was braucht der Kranke? Und das immer mit wachen Augen, mit großer Empathie.“ Dazu erzählte Sabine von Bodecker von einem Erlebnis, welches sehr anschaulich machte, wie sehr sich die Situationen denen die Helfer am Bett des Sterbenden begegnen, täglich ändern kann. „Wir sind nie fertig. Wir lernen nie dabei aus“, erklärte sie. Darum seien für die Helfer auch die Supervisionen, in dem die Helfer ihre Erfahrungen in regelmäßigen Abständen austauschen sehr wichtig.
Gisela Mulzer gab einen Einblick in die Arbeit des Gesprächskreises für Trauernde. Man müsse sich immer vor Augen führen: Jeder Mensch habe eine andere Weise zu trauern. Und die Trauer sei oft ein sehr schmerzhafter Prozess. „Die Trauer verschwindet nicht. Sie verändert sich nur.“ In dem Gesprächskreis sei es wichtig, miteinander zu fühlen, oder einfach nur da zu sein. Man wolle in dem Gesprächskreis der Trauer genügend Raum geben. Gisela Mulzer beendete ihren Vortrag mit einem sehr schönen Text von Urich Schaffer: „Du hast ein Recht auf Deine Trauer.“
„Frühstücken und gleichzeitig über das Sterben sprechen – geht das überhaupt?“, diese Frage stellte Kerstin Pook zu Beginn ihres Vortrags in den Raum. Ihre Antwort: „Wer einmal dabei war, wird nicht wieder fragen.“ Kerstin Pook organisiert gemeinsam mit Monika Eggert regelmäßig das Hospiz-Frühstück. In unverbindlicher Atmosphäre würden sich hier die Teilnehmerinnen zu Themen wie Vorsorgevollmacht, Demenz, Trauerarbeit und so weiter austauschen. Dabei stünden ihnen die Organisatoren mit Rat und Tat zur Seite. Auch beim Hospiz-Frühstück seien Tränen kein Tabu. Doch auch wenn man es nicht vermuten würde, es würde auch gelacht, erzählte Kerstin Pook.
Die Frage: „Wie wird man ehrenamtlicher Mitarbeiter des Hospiz-Vereins?“ beantwortete Annette Kleine-Gödde. Jedes Jahr würde ein Kurs angeboten, der in Inhalt und Umfang den Qualitätskriterien des Deutschen Hospiz- und Palliativ Verbandes, entsprechen würde. Denn Menschen die in der Hospiz-Arbeit tätig werden möchten, sollten vorbereitet sein. Der Kurs sei aber auch eine Möglichkeit, Multiplikatoren für die Hospiz-Arbeit zu gewinnen. Die Motive der Teilnehmerinnen seien oft unterschiedlich. Einige würden zum Beispiel daran teilnehmen, weil sie sich zunächst grundsätzlich mit dem Thema auseinandersetzen möchten – zum Beispiel weil sie in ihrer Familie einen schwerkranken Angehörigen haben. In dem Kurs würden sich die TeilnehmerInnen auch mit ganz schwereren Fragen wie: „Was würde ich tun, wenn ich nur noch eine Woche zu leben hätte?“, beschäftigen müssen. Auch die Bestattungs-Rituale in den verschiedenen Religionen würden in dem Kurs eingehend thematisiert. In enger Begleitung mit den Koordinatoren würden die Teilnehmerinnen auch Praxiserfahrung in dem Kurs erfahren.
Klaus Pape berichtete über die Kinderhospizarbeit. Derzeit seien im Hospiz-Verein vier Mitglieder in der ambulanten Kinderhospizarbeit ehrenamtlich tätig. Ausgebildet worden seien er und seine KollegInnen vom Kinderhospiz Löwenherz in Syke. Das Angebot der Kinderhospizarbeit richte sich an kranke Kinder, deren Lebenserwartung begrenzt ist, an dereren Eltern und an deren Geschwister. Auch hier seien die Sorgen und Nöte sehr unterschiedlich. Geschwisterkinder fühlen sich, weil der die Pflege eines schwerkranken Kindes oft in den Lebensmittelpunkt der Familie rücken würde, vernachlässigt. Aber auch Beziehungsprobleme würden mitunter entstehen, da zum Beispiel der eine Ehepartner arbeiten, während der andere Partner rund um die Uhr sich des kranken Kindes annehmen müsse. Aufgabe der Kinderhospizarbeit sei es, beispielsweise, durch die Betreuung der Kinder den Eltern einen Freiraum zu schaffen, dass sie sich entspannen und wieder Kontakt mit Freunden aufbauen können, die sich oftmals zurückgezogen hätten. Für die Familien mit schwerkranken Kindern, die über Jahre nur im Bett liegen können, sei das Leben unglaublich schwer. „In meinen Augen sind das die wahren Helden: Die kranken Kinder, deren Geschwister und Eltern“, beendetet Klaus Pape seinen Vortrag.
Über die Gruppe “Verwaiste Eltern“ informierte Gundula Lüttge. Sie erklärte: In dieser Gruppe können sich Eltern austauschen, die ein Kind verloren haben – sei es durch Krankheit, Unfall, Suizid oder Drogen. Manchmal bestehe die Hilfe allein durch das Zuhören. Denn die Trauer um den Verlust eines Kindes sei für viele der betroffenen Eltern ein sehr langer und schmerzhafter Prozess. Oftmals würden Angehörige davon nichts mehr hören wollen, sie möchten, das die Trauer ein Ende hat. Das alle berge viel Konfliktstoff, bei Eltern, Geschwisterkindern – es entstünden Schuldgefühle, Betroffene würden unsicher und so weiter. Die Gruppe möchte „verwaisten Eltern“ einen Raum geben, die Trauer auszuleben, sich mit anderen betroffenen Eltern auszutauschen.
Rund 300 Mitglieder habe der Hospiz-Verein Bad Pyrmont, berichtete Annette Kleine-Gödde in ihrem Schlusswort. Der Verein verfüge über 50 ehrenamtlich aktive Mitarbeiter. Dabei handele es sich um die unterschiedlichsten Menschen. „Wir brauchen diese unterschiedlichen Typen“, stellte Annette Kleine-Gödde heraus, nur so können wir auf die unterschiedlichten Bedürfnisse der hilfesuchenden Menschen eingehen. Die beiden hauptamtlichen Kräfte ebenso wie die Schulungen würden von den Krankenkasse gefördert. „Aber erst die Ehrenamtlichen schaffen mit ihrer Arbeit die Grundlage dafür, dass wir die Fördermittel überhaupt in Anspruch nehmen können“, erklärte Annette Kleine-Gödde. „Alle Hospizler haben auch etwas anderes zu tun. Wir sind keine Exoten. Wir stehen mitten im Leben. Und unsere ehrenamtliche Arbeit bedeutet für uns auch ein Gewinn an Lebensqualität.“
Bürgermeister Heinz Reker bedankte sich nachdrücklich bei den VertreterInnen des Hospiz-Vereins, und bat sie, diesen Dank auch an alle ehrenamtlich aktiven Mitglieder weiterzugeben. Stellvertretend für den ganzen Verein übergab er der 1. Vorsitzenden Annette Kleine-Gödde eine Ehrenamts-Urkunde der Stadt Lügde und bedachte Annette Kleine-Gödde, Hildegard Cramer, Sabine von Bodecker, Gisela Mulzer, Kerstin Pook, Klaus Pape, Gundula Lüttge, Annemarie Willeke, Jutta Jess und Regina Stelter mit einem kleinen Präsent.
Wie sich das für so eine Feierstunde gehört, war auch für eine musikalische Untermalung gesorgt: Alexander Bolger und Georg-Nathanael Schmitt, Studenten der Hochschule für Musik in Detmold, brillierten mit mit Musikstücken von Astor Piazzolla und Frank Sinatra.
24.4.2013
[Text und Foto: Volker Thiele]
Ergänzt am 2.7.2014: Diesen Text haben wir heute „nachgeladen“. Er war bei dem Relaunch von luegde.de im Herbst 2013 noch nicht mit „umgezogen“.