Osterräderlauf Lügde
Das bekannteste Kulturereignis in Lügde ist der Osterräderlauf. Er findet immer am Abend des ersten Ostertages, am Ostersonntag statt. Ausgerichtet wird diese außergewöhnliche Veranstaltung vom Osterdechenverein Lügde e.V..
Termin:
Die Stadt der Osterräder
Seit dem 27.8.2012 trägt Lügde offiziell den amtlichen Namenszusatz »Stadt der Osterräder«.
Vorabinformation zum Osterräderlauf
Wer heute dem Osterräderlauf zusieht, denkt weniger an seine Ursprünge oder an seine Bedeutung. Er lässt sich gefangen nehmen von einer fast geheimnisvollen Stimmung. Einer Stimmung, die durch die Erwartung Tausender von Menschen spürbar wird. Denn überall im Tal, auf dem Osterberg und auf den umliegenden Bergen stehen sie in der Dunkelheit, um das Ereignis zu sehen.
Die Vorbereitungen beginnen am frühen Nachmittag des Oster-Sonntags. Die sechs zirka 1,70 Meter hohen Osterräder werden zum Osterberg gefahren. Transportiert werden sie auf einem alten Leiterwagen. Leiterwagen werden die alten Transport-Anhänger der landwirtschaflichen Betriebe genannt. Den ersten Teil der Wegstrecke wird der Leiterwagen von zwei Pferden gezogen. Bei den Pferden handelt es sich um sogenannte Kaltblüter. Das sind sehr kräftige Pferde, die früher als Zug-Pferde bei den landwirtschaftlichen Arbeiten eingesetzt wurden. Bevor die Räder auf dem Berg gebracht werden, erfolgt ein kleiner Stadtrundmarsch. Dabei werden die Osterräder begleitet von den „Dechen”, den Mitgliedern des Dechenvereins. Neben den Leiterwagen mit den Osterrädern wird auch noch der Anhänger mit dem extra langen Roggen-Stroh zum Berg hinauf gefahren. Das Stroh wird für das Stopfen der Räder benötigt und eigens dafür in traditioneller Weise angebaut.
Sofort nach der Ankunft auf dem Osterberg werden Stroh und Räder abgeladen. In der Nähe der Stelle, von der die Osterräder ins Tal gestossen werden, steht ein sehr großes, beleuchtetes Holzkreuz, das Osterkreuz. Jetzt beginnt für die Dechen eine schweißtreibende Arbeit. Denn alle sechs Räder müssen bis zum Einbruch der Dunkelheit mit Stroh gestopft werden. Der Beginn dieser Arbeit wird mit einen lautem Böllerknall aus einer Kanone angekündigt. Die Kanone steht in unmittelbarer Nähe des Osterkreuzes. In mühsamer Arbeit wird das Stroh in kleine Büschel geteilt und mit gedrehten Haselnussruten zusammengebunden. Diese Strohbüsche werden dann in die Kreuzbalken der Räder eingeflochten. Ungefähr 15 bis 20 Bund langes Roggenstroh werden so nach und nach kunstgerecht in das Rad geflochten. Diese Arbeit muss sehr sorgfältig und gewissenhaft ausgeführt werden. Nur so kann verhindert werden, dass sich das Stroh nicht vorzeitig aus dem Rad löst. Denn das Rad muss auf den Weg in das Tal einige steile Abhänge überwinden. Dabei kommt es sogar zu kleinen Flugeinlagen der Räder. Wenn ein Rad fertig gestopft ist, wird das mit drei Böllerschüssen aus der Kanone kundgetan. Die Spannung steigt bei Einbruch der Dunkelheit. Zunächst wird ein großes Feuer angezündet, das Osterfeuer. Gegen 21.00 Uhr ist es dann soweit. Ein Böllerschuss kündigt den Beginn des Räderlaufes an. Die Beleuchtung am Osterkreuz erlischt. Das erste Rad wird angezündet. Die Flammen schlagen hoch, man glaubt, es würde ausbrennen noch bevor es den Lauf antritt. Die Stelle, von der die Räder abgestossen werden, befindet sich zwischen dem Osterfeuer und dem Osterkreuz. Dann wird das Rad mit Hilfe von Stangen in Bewegung gesetzt. Ist das Rad im Tal angekommen, ist auch das Osterkreuz wieder erleuchtet. Mit gleicher Zeremonie werden auch die fünf anderen Räder vom Osterberg abgestossen. Anschließend folgt noch ein prachtvolles Höhenfeuerwerk. Den Abschluss des Osterräderlaufes kündigt ein feierliches Glockenläuten der Kirchen an. Nach der Überlieferung ist mit einer guten Ernte zu rechnen, wenn alle Räder im Tal angekommen sind.
Die Osterräder
Die Osterräder bestehen aus gelagertem Eichenholz. Sie haben einen Durchmesser von rund 1,70 Meter. In vier Lagen ist das Eichenholz mit Stahlbolzen zusammengeschraubt. Ein Osterrad ist rund 26 bis 28 cm breit. Zwei gekreuzte Balken bilden die Radspeichen. Im Schnittpunkt der Speichen ist ein etwa faustgroßes Loch. Durch dieses Loch wird später eine rund 4,50 Meter lange Holzstange aus Hainbuche geschoben und befestigt. Die Stange verhindert, dass das Rad auf seiner rasenden Abfahrt vom Berg hinunter umkippt. Der Osterräderlauf wird organisiert und durchgeführt vom Osterdechenverein Lügde e.V.
Geschichte eines Sonnenkults
Wie alt dieses Brauchtum ist, lässt sich nicht exakt feststellen. Möglicherweise hat der „Osterräderlauf” seinen Ursprung im heidnisch-germanischen „Sonnenkult”. Vor rund 2000 Jahren fühlten sich unsere Vorfahren vom Feuer angezogen. Das Feuer war ihnen geheimnisvoll. Das Feuerrad, als Sinnbild der Sonnenscheibe, weckte Erwartungen auf den kommenden Frühling. Die brennenden Räder symbolisieren das Licht. Das Licht, das über die Dunkelheit des scheidenden Winters triumphiert.
Geschichtlich kann der Räderlauf auch dem sogenannten „Feuerkult” zugeordnet werden. Bereits Historiker des Altertums berichten über Feuerbräuche. Die Zahl der Feuerrituale war riesig. Alle Feuerrituale aufzuzählen und einzuordnen ist fast unmöglich. Der Lügder Osterräderlauf lässt sich möglicherweise auf das Ritual des Feuerrades zurückführen.
Brauch des Räderrollens war früher auch in anderen Gegenden Deutschlands und in benachbarten Ländern verbreitet
In Deutschland berichten die Gebrüder Grimm von einer ähnlichen Sitte in dem Moselstädtchen Konz. Dort ließ man die Feuerräder zu Johanni, also zur Sonnenwende, von den Bergen herunterrollen. Auch in Lünsberg bei Ramesdorf, Mittenwald in Oberbayern, in der Gegend um Würzburg und auch in Kärnten liefern noch um die Jahrhundertwende brennende Räder. Die wohl älteste Aufzeichnung aus dem deutschsprachigen Raum von brennenden Scheiben beziehungsweise Rädern befindet sich in der Lorscher Klosterchronik. In anderen Berichten wird von brennenden Rädern in Verbindung mit Wetter- und Fruchtbarkeitszauber erzählt. Einer der ersten Aufzeichnungen über den Feuerräderlauf finden wir in einer Lebensbeschreibung über den heiligen Vincent von Agen. Der Heilige Vincet von Agen hat im 4. Jahrhundert in Frankreich gelebt. Er hat den Märtyrertod erlitten, weil er ein heidnisches Fest gestört hatte. In einer Lebensbeschreibung dieses Heiligen wird dieses Ereignis wie folgt wiedergegeben:
Vor langer Zeit versammelten sich in der Gegend von Agen die heidnischen Gallier in einem Nemeton (Heiligtum). In einem bestimmten Augenblick öffneten sich wie von unsichtbaren Kräften bewegt die Pforten des Heiligtums und vor den Augen des staunenden Volkes erschien ein Flammenrad, das den Abhang hinunter bis zum Fluss rollte. Auf geheimen Wegen wieder zum Tempel zurück gebracht, begann es anschließend aufs Neue seinen flammenden Weg.
Aber nicht nur im südlichen Frankreich, auch im englisch-irischen Raum war das Feuerrad bekannt. Die selbe Zeremonie wird auch in einem englischen Gedicht aus dem 16. Jahrhundert wie folgt beschrieben:
Die Leute nehmen ein altes … Rad, umwinden es ganz und gar mit Stroh und Werg und tragen es auf den Gipfel eines Berges. Wenn es dunkel geworden ist, zünden sie es an und lassen es den Berg hinunterrollen. Ein merkwürdiges und ungeheures Schauspiel – man könnte meinen, die Sonne sei vom Himmel gefallen.
Der Osterräderlauf in unserer Stadt dürfte wohl einmalig weit und breit sein. Das alte Brauchtum wird in seiner ursprünglichen Art an anderen Orten nicht mehr ausgeübt.
Osterräder – Symbolik, Bedeutung und Vorstellungswelt unserer Vorfahren
Die Geschichte der Osterräder oder auch Feuerräder ist verbunden mit der Geschichte des Rades. Gemeint ist hier aber nicht das von unseren Vorfahren verwendete Gebrauchsrad, zum Beispiel das Rad am Ackerwagen. Es ist vielmehr die Geschichte und Bedeutung der sogenannten Kulträder.
Kulträder des Altertums dienten ausschließlich religiösen Zwecken. Sie hatten daher auch ihren festen Platz in der religiösen Vorstellungswelt unserer Vorfahren. Das Osterrad als Kultrad ist ein Vierspeichenrad. Im alltäglichen Gebrauch wurden auch früher immer Mehrspeichenräder verwendet. Aus Stabilitätsgründen hatten sie sechs Speichen und mehr. Häufig sieht man die Vierspeichenräder noch auf alten Felszeichnungen. Wie zum Beispiel auf den Felszeichnungen in Südschweden (Aspeberget - Gotland). Diese um 1.300 vor Christi Geburt gezeichneten Räder sind weder Gebrauchsgegenstand noch Schilde für die abgebildeten Krieger. Sie sind ausschliesslich als Schutzzeichnen (Kultrad) zu verstehen. Dafür spricht ihre isolierte bildliche Position. Auch ein Kreuzzeichen im christlichen Leben ist hier begrifflich mit einzuordnen.
Ein besonders schönes Beispiel eines Vierspeichenkultrades befindet sich am sogenannten Sonnenwagen von Trundholm (germanischer Kultgegenstand). Eine kultische Bedeutung hatte das Rad als Bewegungs- und Sonnenzeichen. Zum Beispiel als Rad des Wagens, mit dem die Sonne am Himmel entlangfährt. Auch bringt man das Vierspeichenrad mit dem Mondkult, Odins Ring oder Donars Rad in Verbindung. Die vier Speichen bedeuten hier die vier Phasen des Mondes oder die vier Himmelsrichtungen. Unsere Vorfahren, die Germanen, kannten bis weit in die Zeit nach Christi Geburt keine Götterbilder. Sie verehrten die Unsichtbarkeit der Götter ausschließlich in Symbolen. Eines dieser Symbole ist das Vierspeichenrad. Schon Tacitus berichtet von ochsenbespannten Kultwagen in Südjütland (Dänemark). Die Kultwagen würden Gottheiten darstellen, auf denen daher kein Sterblicher stehen durfte. Siehe auch die Abbildung vom Sonnenwagen, auf dem der Mensch als Wagenlenker fehlt. Alle wiedergegebenen Bilder des Vierspeichenkultrades sind somit auch vom Inhalt her vergleichbar. Nämlich mit der Idee des unsichtbaren Gottes. Am einfachsten lassen sich die Vierspeichenräder als Bitte erklären. Als Bitte an einen unsichtbaren Gott, der besseres Wetter und eine gute Ernte senden möge. Der Symbolcharakter als Schutzzeichen spiegelt sich wieder in dem Lügder Osterrad. Das Osterrad als Sonnen- oder Feuerrad, dem Abbild eines germanischen Kultrades. Ein Kultrad, das in der Pflege des Brauchtums heute noch ein Schutzzeichen verstanden wird. Ein Kultrad, das einen antiken Himmelsgott zu verehren scheint. Einen Himmelsgott, der über Wetter, Wachstum, Ernte und das tägliche Brot waltet.